Das schulinterne Curriculum Psychologie
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- Geschrieben von Freiherr-vom-Stein
Hier erfahrt Ihr viele Aspekte rund um das Thema Psychologie als Unterrichtsfach.
Hier erfahrt Ihr viele Aspekte rund um das Thema Psychologie als Unterrichtsfach.
Das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium ist das einzige Gymnasium in Oberhausen, das Psychologie als Fach in der Oberstufe anbietet. Darüber hinaus ist es eines der wenigen Gymnasien in NRW mit eben diesem Fach, und das seit 1975!
Die Fachschaft Psychologie pflegt regelmäßige Kontakte zu mehreren Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie Institutionen in Nordrhein-Westfalen. Die Schülerinnen und Schüler können sich so vor Ort mit Experten auseinandersetzen und ihr Fachwissen überprüfen und anwenden.
Ein Interview mit dem Schulgeist "Freiherr" anlässlich des 100-jährigen Schuljubiläums des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums.
Journalist: Sie werden dieses Jahr also 100 Jahre alt. Sind Sie denn kein bisschen müde?
Freiherr: Nein, nein. Alles ist bestens! Ich kümmere mich um mich. Ich habe für die nächsten Jahre viele große Pläne ….
Journalist: Alle Achtung, das hört sich nach einem gesunden Selbstbewusstsein an. Dass sie ein besonderes Gymnasium sind, habe ich während meiner Recherchen schon festgestellt. Bei Ihnen haben die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit in der Oberstufe Psychologie zu wählen. Rührt ihr Selbstbewusstsein daher, dass sie psychisch „topfit“ sind?
Freiherr: Nein, daher alleine kommt meine Vitalität sicherlich nicht. Aber sie haben schon Recht, wir sind in Oberhausen das einzige Gymnasium, welches Psychologie als Unterrichtsfach anbietet, und das macht uns natürlich Freude. Und, das werden sie wissen, wenn etwas Freude macht, fühlt man sich einfach besser. Positive Emotionen wirken wie ein Fitnessprogramm.
Ich selbst bin psychologisch auch sehr interessiert, sie können sich vorstellen, um so viele Schüler, Eltern, Lehrer, Schulleitung, Fächer, Klassen und vieles mehr unter einen Hut zu bringen, bedarf es einer Vielzahl psychologischer Kompetenzen.
Journalist: Ihr Jubiläumsmotto zum 100sten Geburtstag ist „Das Freiherr-vom-Stein Gymnasium früher, heute, morgen“. Nun erzählen Sie einmal. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie Psychologieunterricht anbieten?
Freiherr: Ach, ja. Ich erinnere mich das war 1975, da hatte ich mit 70 Jahren das Bedürfnis nach Veränderung. Ich wollte einfach etwas Neues ausprobieren und erleben. Psychologie schien mir ein sehr interessantes Fach zu sein, welches auch im Arbeitsleben, übrigens heute auch noch, einen wachsenden Stellenwert hat. Ich konnte damals Herrn Lohmann als Psychologielehrer gewinnen. 1988 verließ Herr Lohmann die Schule, um eine Professur an der Musikhochschule in Köln anzutreten. Für einen Moment schien es, als wäre das Projekt „Psychologieunterricht“ gescheitert, aber erfreulicherweise lief mir Herr Malach über den Weg und ich konnte ihn davon überzeugen von Duisburg nach Oberhausen zu wechseln – und das, obwohl er doch ein so großer MSV- Fan ist! Psychologie war schon damals bei den Schülern sehr beliebt. Um möglichst allen interessierten Schülern die Chance zu geben, am Psychologieunterricht teilzunehmen, wurden oftmals drei parallele Kurse in der Jahrgangsstufe 11 eingerichtet. Herr Hütig erklärte sich als Pädagogiklehrer freundlicherweise dazu bereit, einen dieser Kurse zu übernehmen. Zum Glück kam 1998 Frau Bardelle als weitere Psychologielehrerin hinzu. Jetzt wählen pro Jahr ca. zwei Drittel der Jahrgangstufe 11 Psychologie und in der 12 und 13 haben wir in der Regel zwei große Grundkurse. Meistens sind auch zwei Psychologiereferendare an der Schule, denen ich eine Ausbildung ermögliche, um die sich Herr Malach als Fachleiter für Psychologie kümmert. Über die Jahre hinweg konnte ich beobachten, dass neben den am „Sozialen“ interessierten Schülern auch eine große Anzahl naturwissenschaftlich interessierte Schüler Psychologie zu schätzen gelernt haben. Viele der Kursteilnehmer sitzen auch in Mathe- oder Physik-Leistungskursen. Schließlich, und das als nette Besonderheit, ist auch ein an Psychologie interessierter Mathematiker oft als Vorsitzender in den Abiturprüfungen beteiligt und verhindert so die Entstehung einer jeden
Not(h)lage.
Journalist: Wie ich erfahren habe, würden jedes Jahr ca. 20-25 Schüler gerne einen Psychologie Leistungskurs wählen?
Freiherr: Ja stimmt, dass Interesse dafür ist auf Schüler- und Lehrerseite sicherlich sehr groß…
Journalist: Das scheinen tolle Bedingungen an ihrer Schule zu sein. Aus welchen Gründen wählen denn die Schüler Psychologie?
Freiherr: Ja, warum fragen sie mich? Meine Sicht der Dinge ist sicherlich eine andere als die der Schüler. Sie wissen doch: Wahrnehmung ist subjektiv…
Journalist: Hm. Was glauben sie als alter Hase nun mit 100 Jahren und dazu noch psychologisch interessiert, warum Schüler Psychologie wählen?
Freiherr: Es gibt verschiedene Gründe: Einer ist sicherlich die Lebensnähe des Fachs. Die Schüler finden Inhalte wie „Gedächtnis“, „Emotionen“ oder „Liebe, Eifersucht und Partnerwahl“ interessant, weil diese Themen sie auch in ihrem Alltag betreffen. Andererseits sind Schüler immer an dem „Andersartigen“, „Kranken“ interessiert. Diese Erwartungshaltung ist nicht ganz unproblematisch. Dass Psychologie ein Unterrichtsfach ist, welches mit bestimmten Methoden und Kriterien arbeitet und keine therapeutischen Ansprüche hat und auch nicht einlösen könnte, muss deutlich unterstrichen werden. Daher lege ich auch großen Wert darauf, dass die Schüler – bevor sie das Fach wählen - sorgfältig darüber informiert werden, was Psychologieunterricht leisten kann, aber auch wo Grenzen liegen.
Journalist: Schön und gut, aber kann denn der Psychologieunterricht den Anforderungen der heutigen Wissensgesellschaft Rechnung tragen? Ist das Fach überhaupt noch zeitgemäß? Sollten nicht vielmehr die Ressourcen gebündelt werden und mathematisch-naturwissenschaftliche und sprachliche Schwerpunkte die Ausbildung bestimmen? Fordert nicht die Wirtschaft eine deutliche Anhebung der Qualität in diesen Kernbereichen?
Freiherr: Ich habe mir schon oft Gedanken darüber gemacht, welche Kompetenzen Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg zum Erwachsensein und darüber hinaus benötigen. Reicht es aus, Sprachen zu beherrschen, rechnen zu können, den Computer bedienen zu können? Wohl kaum, auch wenn an meiner Schule zurecht großer Wert darauf gelegt wird, diese Fähigkeiten zu fördern. Heute sind neben anschlussfähigem und anwendungsbezogenem Fach- und Orientierungswissen zunehmend Kompetenzen gefragt, die den Umgang mit sich selbst und anderen Personen betreffen. Dazu gehört es genauso, auf die eigenen Stärken zu vertrauen, wie konstruktiv mit den eigenen Schwächen umzugehen. Nicht immer ist das in den Turbolenzen der Pubertät und im alltäglichen Stress, dem viele Kinder und Jugendliche heute in Schule, Freizeit und Familie ausgesetzt sind, so einfach zu realisieren. Wie man Misserfolge, Verluste, Bedrohungen und die begleitenden Ängste und Stimmungsschwankungen bewältigt, steht meist nicht auf dem Stundenplan der Schüler. Psychologieunterricht, der das Thema „Gesundheit und Optimismus“ aufgreift, bietet die Möglichkeit, diese Lücke zu schließen. Darüber hinaus wird gerade in vielen Berufsfeldern in zunehmendem Maße nach psychologischem Wissen und dessen Anwendung gefragt. Die Rückmeldungen ehemaliger Schüler bestätigen dies eindrucksvoll.
Journalist: Psychologieunterricht scheint ja zu boomen, liegt das nur an den Themen oder haben sie auch besondere Unterrichtsmethoden?
Freiherr: Natürlich ist es nicht die Alltagsnähe der Themen alleine, die Psychologieunterricht bei den Schülern beliebt macht. Methodisch kann man in der Psychologie glücklicherweise viel mit Alltagsbeispielen und Schülererfahrungen arbeiten, da haben es die Psychologen oft leichter als andere Fächer. Zum Beispiel können die Schüler gewissermaßen an sich selbst einige psychologische Phänomene aus dem Bereich der Gedächtnis- und Wahrnehmungspsychologie erleben. Oft sind sie sehr verblüfft, welche Effekte sich im Unterricht bei ihnen einstellen. Das macht den Schülern meistens Spaß und fördert natürlich eine positive Lernatmosphäre. Auch ist viel Praktisches dabei: So können Strategien des Selbstmanagements, etwa entlastende kognitive Verfahren bei Ängsten und Stresserleben, thematisiert und eingeübt werden. Dies gilt auch für kognitive Lernstrategien, deren zentrale Bedeutung für selbstgesteuerte Lernprozesse sich ja gerade erst wieder in der PISA-Studie gezeigt hat. Teamfähigkeit wird nicht nur gepredigt, sondern kann hinsichtlich seiner Voraussetzungen und Konsequenzen untersucht und gezielt gefördert werden.
Journalist: Beschränkt sich der Psychologieunterricht dabei nicht zu sehr auf Phänomenbeschreibung und Vermittlung von Techniken?
Freiherr: Psychologische Phänomene zu erleben ist sicherlich sinnvoll, allerdings ist das Erlebnis immer nur Ausgangspunkt für eine hypothesengeleitete, theoriebezogene und methodisch orientierte Vorgehensweise. So spielt das Experiment als Methode der Erkenntnisgewinnung im Unterricht eine wichtige Rolle. Die Schüler sind besonders engagiert, wenn sie Extensionen bekannter Experimente, etwa zur Hilfeleistung im Alltag, selbstständig planen, diese Studien durchführen, sie auswerten und ihre Ergebnisse und ihre theoretischen Überlegungen dazu im Kurs präsentieren können. Die theoretische Auseinandersetzung mit psychischen Gegebenheiten erscheint für die Schüler in diesem authentischen Lernkontext sinnvoll, so dass Texte, Theorien, Thesen und Fakten von den Schülern selbst gefordert werden…
Journalist: … und oft eben auch eine Assoziationskette oder eine Erlebnisepisode – ich verstehe. Allerdings habe ich auch den Eindruck, sie übertreiben ein bisschen.
Freiherr: Ich wende hier eigentlich nur das Figur-Grund-Prinzip an. … Aber im Ernst: Auch für den Psychologieunterricht ist es ein zentrales Anliegen, wissenschaftspropädeutisch zu arbeiten. Die verschiedenen psychologischen Richtungen bzw. Strömungen werden dabei mit ihren Erklärungsansätzen und methodischen Zugängen berücksichtigt und nach festgelegten Kriterien miteinander verglichen. So erfolgt die Analyse, warum es zur Rivalität unter Geschwistern kommt, nicht nur unter psychoanalytischem, sondern auch unter evolutionspsychologischem Blickwinkel. Damit wird ein Perspektivenwechsel ermöglicht und kritische Auseinandersetzungen gefördert. Übrigens, um die unterschiedlichen Ansätze besser zu verstehen, ist ein Rückblick in die Geschichte der Psychologie und Philosophie unumgänglich. Wenn Sie so wollen, zeigt sich hier ein fachübergreifendes, Kultur- und Naturwissenschaften verbindendes Lernen in statu nascendi.
Journalist: Hinter dem Psychologieunterricht scheint ja ein tragfähiges Konzept zu stehen: Alltagsorientierung und Wissenschaftsorientierung quasi im Doppelpack. Aber wie steht es denn mit dem Wissenstransfer auf Situationen über den Schulalltag hinaus? Bleibt das Wissen nicht ein Wissen im Klassenraum, gefangen in den Mauern der Schule?
Freiherr: Sie sprechen da ein zentrales Problem an. Ich sehe aber eine Reihe von Lösungsansätzen, um „fluides Wissen“ - wie die Psychologen hochgestochen sagen - aufzubauen. Zum einen werden die Schüler mit einer außerschulischen Expertenkultur vertraut gemacht. So besuchen sie etwa in der 11 im Anschluss an die Durchführung eigener psychologischer Experimente das Experimentalpraktikum an der Uni Duisburg-Essen, zum anderen werden die Abiturienten seit einigen Jahren von den Psychologen des Johanniter- Krankenhauses eingeladen, um über Studium und Berufsfelder von Diplom-Psychologen zu sprechen, aber auch Informationen über klinische Störungsbilder, etwa Schizophrenie, Angststörungen, affektive Störungen und Persönlichkeitsstörungen und deren Behandlungsmöglichkeiten zu erfahren und ihr im Unterricht erworbenes Wissen im Austausch mit den Experten zu überprüfen und zu ergänzen.
Journalist: Da müssen die Schüler eine Menge Zeit investieren. Kommen Sie denn da noch mit Ihrem Unterrichtstoff durch?
Freiherr: Sie haben schon Recht. Da solche Aktivitäten in der Regel in den Nachmittag fallen oder samstags erfolgen müssen, und dadurch eine zusätzliche zeitliche Belastung – bei allem Engagement der Beteiligten – darstellen, lassen sie sich nicht beliebig ausdehnen. Wir brauchen Alternativen, um die Übertragbarkeit psychologischen Wissens zu unterstützen. Etwa Anstoßen von selbstgesteuerten Lernprozessen, d.h. von Lernprozessen, bei denen die Schüler die wesentlichen Entscheidungen (ob, was, wann, wie und woraufhin sie lernen) gravierend und folgenreich beeinflussen können. Das setzt voraus, dass Schüler über Kompetenzen verfügen. Sie müssen ihr eigenes Lernen angemessen planen, für das Lernen relevante Informationen zu Wissen verarbeiten, ihr eigenes Lernen überwachen und steuern können, aber auch ihre Lernmotivation aufrechterhalten können...
Journalist: Entschuldigen Sie, dass ich Sie in ihrem Eifer unterbreche. Ihnen bleibt ja fast die Luft weg. Ich frage mich, ob das Streben nach Leistung nicht ständig in Konkurrenz zum Streben nach Wohlbefinden tritt? Alles in allem scheint mir, gehört Lernen innerhalb und außerhalb der Schule trotz aller Innovationen im Bereich der Didaktik nicht zu den Vorlieben junger Menschen.
Freiherr: Ja, gerade deshalb ist es wichtig, Lernumgebungen zu schaffen, die kooperatives und selbstgesteuertes Lernen fördern. Den Schülern Freiräume zu lassen, sie an Entscheidungen zu beteiligen, die auch die methodische Gestaltung von Unterricht betreffen, ihnen gleichzeitig aber eine notwendige Orientierung und Hilfe in komplexen Aufgabenfeldern zukommen zu lassen und ihnen auch die Übernahme von Verantwortung für sich und andere nicht zu ersparen. Dies führt zwangsläufig zu einer Neujustierung der Lehrerrolle. Weniger anleiten, darbieten, erklären, mehr unterstützen, anregen, beraten.
Journalist: Glauben Sie nicht, dass Sie mit solchen Forderungen auf Widerstand stoßen?
Freiherr: Auf den ersten Blick hört sich das nach Mehrarbeit, nach zusätzlicher Belastung an, aber ich glaube, hier liegt auch eine große Chance, mit eigenen Ressourcen vorsichtiger und effektiver umzugehen. Nur wenn alle an der Schule Beteiligten die in ihr ablaufenden Prozesse als im Prinzip verstehbar, machbar und sinnvoll erleben, stellt sich ein Gefühl von Kohärenz ein und kann die psychische Gesundheit gefördert und verstärkt werden.
Journalist: Nun gut, besten Dank für ihre beeindruckenden Ausführungen. Jetzt habe ich wirklich eine tolle Story über ihren Psychologieunterricht beisammen … die kann man ja kaum glauben!
Es ist spät und ich muss dies noch alles zu Papier bringen… Und was haben sie heute an ihrem 100sten noch vor?
Freiherr (statt zu antworten, nimmt er sich zwei Gläser Rotwein und reicht eines davon dem Journalisten)
Anmerkung für Insider: Cos d’Estournel, Appellation St.Estèphe, 2000, 96 Parker Punkte, im kraftvollen Geschmack finden sich reiche Nuancen von hochreifer Frucht (dunkle Kirschen, schwarze Johannisbeeren) sowie Schokolade, Kaffee und Gewürz.
Freiherr: Als Geist mit durchaus menschlichen Regungen möchte ich das Glas heben und einen Toast ausbringen auf die Schule mit Zukunft.
Journalist: Zum Wohl!
Freiherr (schwenkt das Glas leicht und nimmt dann bedächtig einen Schluck): Ich glaube, jetzt lege ich mich auf die Couch – ein Nickerchen machen – schließlich soll das gesund halten.
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